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In den Wind
gesprochen

Die Kleemannsche Kolumne:

Aus nichtigem Anlass heute eine Doppelausgabe

WIE ICH EINMAL EINE SCHRILLE ALTE GEWESEN BIN

Vor Jahren (und ich glaube langsam, dass es wirklich schon Jahre her ist – sowas sagt sich ja leicht) bin ich mit einer damals noch besten Freundin im KadeWe gewesen. Wie öde, werden Sie denken, Geschichten aus dem KadeWe hängen mir dermaßen raus, werden sie denken, und dieser Autor ist ein solcher Holzkopf — aber, aber: bedenken Sie den Titel…

Jedenfalls heißt „im KadeWe gewesen“ hier wie in neunzig Prozent der Fälle, dass wir nur rasch in die sechste Etage bummelten, weil ja das KadeWe für son Pöbel wie uns ja praktisch bloß aus dieser einen sechsten Etage besteht. Darum ist sie ja ganz oben (ich habe heute wieder am Glase der Erkenntnis genippt, Sie merken).

Jedenfalls kamen wir daselbst an und es gab (herrlich, laut und aufs Haus) Tumult. Aus der Austernbar flog ein Glas Champagner, gefolgt vom Klirren einiger niedergehender Platten und gipfelnd im schrillen Schrei eines bebenden Nerzmantels: „Da läuft die Schlampe!! Immernochnichdoooddieolle!!!“

Jedenfalls ist mir so schnell ja eigentlich kaum was peinlich, aber ich war dann doch ganz froh, als die damals noch beste Freundin stante pede kehrt machte und ich ihr brav folgen konnte.

Jedenfalls wurde aus dieser damals noch besten Freundin meine damalige Freundin.

Jedenfalls ist „damals“ lange her.

Jedenfalls war ich neulich nach langer Zeit mal wieder im KadeWe. Und was müssen meine kummermüden Augen sehen? Ebendiese Weibsperson (die sehr ehemalige beste und ehemalige feste Freundin) Hand in Hand mit einem — Herren, der so aussah, als ob er gern arme Omis um ihre Grundstücke bringt (ich bitte sie: so ein Tweed Sakko unter Vierzig spricht doch Bände. Achwas: unter Fünfzig!)

Jedenfalls höre ich jemanden im Diskant schreien: „Da läuft die Schlampe!! Immernochnichdoooddieolle“ und denke mir noch: hättste ma besser den Rand jehalten (in heiklen Situationen verfalle ich stets in ein operettiges Pseudoberlinisch).

Jedenfalls brauche ich so schnell nicht wieder ins KadeWe (außer vielleicht, um mir einen Nerz zu kaufen)

Jedenfalls … ihr Gesicht wars wert.

 

VIER VELTLINER

Für Somi

I. Erinnerung

Wenn man kein Geld hat, kann man es auch ausgeben. Wozu an Dingen hängen, die achso flüchtig, achso nichtig sind? Die Liebe vergeht, das Leben zieht vorüber, aber im KadeWe ist es allzeit hell, freundlich und schön. Warum sich die eigene Traurigkeit eingestehen? Warum sich bewusstmachen, dass nirgends Platz für einen ist, in dieser Welt? Warum nicht lieber mit einer berufsfreundlichen Verkäuferin ein Gespräch darüber führen, dass die Lecontetörtchen mehr Kunstfertigkeit und dezente Eleganz offenbaren, als alle rilkeschen Sonette zusammen. Sie weiß dazu zwar kaum etwas zu sagen, doch das macht nichts, ich nämlich auch nicht. Man spricht, also versucht man wenigstens zu sein. Der dicke Herr hinter mir ärgert sich ein Loch in seine größte Stelle, es kann ihm wohl niemals schnell genug gehen. Dass er sich so ohne jeden Grund aufregt freut die Verkäuferin ebenso wie mich. „Ja“, sagt sie „Rilke…“. Dann, um den Moment ein bisschen herauszuzögern: „Die werden hier im Hause gefertigt, obwohl Paris draufsteht“. Sollte man das einmal bedenken?

II. Vage Hoffnung

Der Wein bekommt mir nicht, darum schmeckt er ja so gut. Leicht könnte ich ohne Wein leben, leiden wäre weinfrei allerdings unmöglich. Man ist so klein, wenn man traurig ist, man muss diese Trauer erhöhen, sich selbst damit und ganz im Leid zerfließen. Man nehme: Zigaretten, Wein, die dunkelste Schokolade und alles, was einem nicht bekommt. Man spare auch nicht mit Bränden, et cetra, und probiere zur Not sogar endlich einmal die eine Droge, die einen immer gereizt hat – ich weissage: noch bevor es dazu kommt lacht man wieder, über sich, die ganze Theatralik, die Dummheit und darüber, wie schlau man sie dennoch ausgetrickst hat. Das alles ist fern, mindestens zwei weitere Gläser und einen schwankenden Heimweg, denn ich bin traurig und habe niemanden, für den ich ein Gesicht machen könnte

III. Kurze Ernüchterung und sentimentaler Rückfall

Das Paar am Nebentisch kaut. Freilich, was bleibt ihnen anderes übrig, aber verzweifeln könnte man daran schon. Das ist wie mit dem Kellner, der nur gut ist, wenn er präsent, doch unbemerkbar bleibt. Was gibt es denn andauernd zu kauen und das in einer Lautstärke, die man mir wirklich nicht als bloße Empfindlichkeit auslegen kann… Früher, ja früher, da war dies ein goldumrandeter Ort. Heute ist es bloß mehr ein Stigma. Damals war alles lebendig, im Gegensatz zum statisch abgespielten Heute, alles ins Wort getaucht, in unsere Worte, unsere Welt. Ein Tisch als Traumreich und vier Veltliner, damals noch für zwei, daraus Phantasien emporsteigend, die irgendwo zwischen Sehnsucht, Rausch und Neugier ein Gefühl empfindlich trafen, an das man sich morgen nicht mehr erinnern würde. Die Erinnerung kommt spät, kommt später, immer später. Zu spät.

IV. Ein letzter Schluck

Eigentlich war ich gekommen, um über Geschichten nachzudenken, einen Einfall zu suchen und eventuell sogar endlich einen Anfang finden. Seit du jedoch fort bist habe ich keine Geschichten mehr zu erzählen, kaum Worte für eine Welt in der ich fremd und halb umherlaufe wie ein Betrunkener nach langer, böser Nacht, morgens, im gleißenden Licht der feindlichen Welt. Schriftsteller, das war ich einmal, für kurze Zeit, mit Dir. Leider habe ich damals nie geschrieben, ich habe, diese kurze Zeit, gelebt.

 

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