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Die Pizza zu Babel

Berlin, 11. Juni 2020

Autorin: Mila J. Dragar

Wir leben jetzt in Corona-Zeiten und mittlerweile haben sich viele daran gewöhnt. Es bedeutet, dass man sich echauffiert, wenn man in großen Gruppen zusammensteht, dass man durch Menschenströme läuft und sagt: „So viele Leute sollten gar nicht hier sein!“, und dass man einen Mundschutz trägt, den man stets in seiner Jackentasche mit sich führt, der so sauber ist, wie das Innere einer Damenhandtasche. Ein besonderes Erlebnis unserer gegenwärtigen Zeit ist das Einkaufen im Supermarkt. Neu ist z.B. der enge Kontakt zu anderen Einkaufenden über die spärlich desinfizierten Haltegriffe der Einkaufswägen, das gekonnte Manövrieren zwischen den in den Gängen geparkten Einkaufswagen und die dringend gewordene Frage, wie lange man von einer Packung Mehl leben kann.

Gestern Abend wollten meine Mutter und ich Tiefkühlpizza zu Abend essen. Tapfer erklärte ich mich bereit zu diesem Anlass einen Supermarkt aufzusuchen. Während ich an den trostlos grauen Regalen entlang schritt, ereilten mich die großen philosophischen Fragen unserer Zeit. Die Frage nach dem Sinn des Lebens und warum ich morgens so früh aufstehen muss. Diese wichtige Frage gewinnt in aktuellen Zeiten sogar noch an Dringlichkeit, weil ein tödliches Virus die Endlichkeit unseres Daseins aufzeigt und so mit dem Finger auf die verlorenen Stunden zeigt, die man nicht in seinem Bett verbringt, sondern vollständig angezogen auf Arbeit sitzt und auf den Abend wartet, um wieder ins Bett gehen zu dürfen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Corona uns allen schmerzhaft vor Augen führt, dass man morgens um sieben keine Draußen-Hosen tragen soll. Morgens um sieben soll man den Schlafanzug tragen, so heißt es im vom Kapitalismus vertuschten elften Gebot! Darum ist es auch so, dass der gläubige Mensch beim Klingeln des Weckers morgens um sechs schon intuitiv seinen Glauben verliert. Und gerade in Zeiten der Corona-Krise ist der Glauben so wichtig, der Glauben an den Sommerurlaub 2021 und der Glauben an die Lieferbarkeit von Klopapier und Mehl.

Als ich nach Stunden des orientierungslosen Umherirrens im neu und besser sortierten Supermarkt die Tiefkühlpizza fand, ereilte mich die Sehnsucht den Zeitpunkt des nächsten Einkaufs möglichst hinauszuzögern. Ich lud eine dritte Tiefkühlpizza in meinen Einkaufswagen. Zögerlich griff ich nach der vierten, aber entschied mich dagegen, weil ich befürchtete, dass man mich mit vier Pizzen an der Kasse komisch anschauen würde. Die aktuell allgemeine Meinung verbietet das hamstern, besser ist häufiger einkaufen gehen, denn Teil des Corona-Konzeptes ist nun einmal der enge Kontakt über die Haltegriffe der Einkaufswagen. Der Mensch muss schließlich sozialisieren und Hamster sind asozial, das weiß ich seit der vierten Klasse von dem Hamster meiner damaligen besten Freundin, der den ganzen Tag nur schlief, anstatt mit uns zu spielen. Nachdem ich nun schon fünf Minuten vor den Kühlregalen stand und meine Kaufoptionen studierte, bemerkte ich eine andere Einkaufende, die mich vorwurfsvoll anschaute, und mir mit wütenden Gesten zu verstehen gab, dass ich das Kühlregal blockierte. Mit eingezogenem Schwanz und nicht mehr als drei Pizzen machte ich den Platz frei. Im Weggehen konnte ich sehen, wie die Frau in ihrem Wagen die Pizzen stapelte. Ein gottloser Turmbau zu Babel. Neidisch darüber, wie lange die Frau nicht mehr würde einkaufen müssen, streifte ich zur Backwarenabteilung und tat eine Packung Mehl in den Einkaufswagen. Dann überlegte ich Klopapier zu kaufen, aber ich entschied mich dagegen, weil der Klopapier-Trend in den letzten Wochen deutlich abgeebbt war. Mit meinem spärlichen Einkauf begab ich mich zur Kasse. Dort sah man mich komisch an. „Für so einen kleinen Einkauf muss man nicht in den Supermarkt gehen und seine Mitmenschen gefährden“, las ich in den Augen des Kassierers.

Beim Abendessen fragte mich meine Mutter, warum ich drei Pizzen gekauft habe und nicht vier. Ich erklärte ihr, dass eine Frau sämtlich Pizzen gehamstert habe und keine mehr übrig geblieben war. „Die Menschen sind unmöglich.“, sagte meine Mutter und ich nickte. Aber wahrscheinlich ist die einfache Wahrheit, dass sie doch möglich sind, nur unglücklich sind sie und grantig, was daran liegt, dass ihr Alltag ihnen verbietet auszuschlafen.

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