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Schreibhainstipendium im Jahrgang XIX

Auch dieses Jahr hat die Schreibhain-Jury die Nacht zum Tag gemacht und über die Shortlistplatzierten für das Stipendium in der Autor*innenausbildung (Jahrgang XIX) debattiert.

Die ersten drei Plätze gingen – hier in alphabetischer Reihenfolge – an:

Brüggemann, Claudia: “Sternzeichen Meerjungfrau”

Losch, Marlene: “Die Schutzmantelmadonna hat vergessen, das Fleisch vom Leder zu kratzen, und jetzt gammelts und stinkts”

Stach, Valeska Marina: “Es ist die Stadt”

Von Herzen gratulieren wir unserer neuen Stipenidatin: Valeska Marina Stach

Mit ihrem Wettbewerbstext “Es ist die Stadt” beeindruckt Stach die Jury nachhaltig. Satz für Satz legt sie die Fragilität ihrer Figuren und derer Geschichte frei. Das Mauerwerk, das ihre Erzählung baut, ist nur scheinbar massiv und wird – nach und nach – für die Leser*in brüchig. Und doch zeigt sich Text wie Erzählerin wehrhaft. Im Momenthaften bleibt das Prinzip Hoffnung. Was wie nebenbei und beinahe absichtslos erscheinen mag, ist mit enormer sprachlicher Präzision, Kunstfertigkeit und Originalität gearbeitet.

Hier lest ihr den Gewinnertext:

Valeska Marina Stach: Auszug aus dem Romanprojekt Es ist die Stadt

 1

Wir sind in der Bar um die Ecke verabredet. Ich ziehe das grüne Kleid an und bleibe vor den erleuchteten Fenstern stehen, um ihn von draußen ein wenig beobachten zu können. Ich überlege, ob ich Lippenstift benutzen soll oder lieber nicht. Das Gold der antiken Kerzenständer, an denen das Wachs in dicken Wulsten herunterläuft und bis aufs abgenutzte Holz der kleinen, runden Bartische tropft, glänzt im Laternenlicht, das sich durch die Glasfront von draußen hinein bricht.
Die kleinen Flammen auf den Tischen zittern unruhig von irgendeinem Luftdurchzug und reflektieren in den Augen der Menschen. Ich höre die Stadt, wie sie zwischen ihren Gesichtern rauscht, wie sie jeden von ihnen fest umschlugen hat, mit ihrem hektischen Atem, der nie genug bekommen kann. Wie das endlose Suchen nach dem einen Moment, in dem endlich alles still werden würde, wenn du endlich ankommen kannst, beim Anderen, der dich ansieht und weiß, wer du bist. Diesen Jemanden, nach dem suchen sie alle, der sie erlöst, der sie an die Hand nimmt und der ihnen erklärt, wie man diese Stadt austricksen muss.

Ich stelle mir ein Fenster vor, das quietscht in den Angeln. Die Fensterflügel werden vom Wind leicht bewegt. Vielleicht gibt es einen Vorhang. Vielleicht ist er weiß. Wie hoch? Und wie stark ist der Aufprall? Wenn die Frau aus dem Fenster springt und unten aufschlägt und wenn der Vater mit den Kindern auf dem Arm die Treppenstufen hinunterläuft.
Sie hatten Nudeln mit Tomatensoße gekocht und dann hatte der Vater etwas gehört, im Nebenzimmer. Ich stelle mir vor, wie die Frau da stand und in den Abendhimmel schaute und wie sie dann auf die Fensterbank kletterte und hinabsah. Sie hatte ein weißes Nachthemd an, das im Dunkel des Himmels noch weißer aussah. Sie fror in ihrem weißen Nachthemd und ihre Rippen waren so kalt, dass sie weiß durch das weiße Nachthemd hindurch schienen. Die Frau, die da stand auf dem Fenstersims und nach draußen schaute, in den Himmel, der langsam zu einer noch dunkleren Nacht wurde, dachte nicht an die Kinder und an den Vater, der nebenan in der Küche Tomatensoße kochte. Sie dachte nichts, und sprang.

„Pah”, ich schlage mit der flachen Hand auf den Tisch. „Und dann hat es einen lauten Knall gegeben, der Körper schlug auf dem Asphalt auf und lag dann regungslos da. Die Kinder starrten auf die tote Mutter und ich glaube, da sind sie innerlich gestorben.” Und dann sage ich auch noch, dass ich mir vorstelle, wie Tomatensoße aus den Mündern der Kindern herausschwappte, wie sich das Rot auf den Asphalt goss und wie sich dann eine rote Pfütze bildete, in der die Mutter lag. Er starrt mich an. „Sie hat sich umgebracht”, sagt er fragend. Das Kerzenwachs war verwischt und der Rotwein war über die Gläser geschwappt. Die Lichtreflektion des Weinglases mit der roten Flüssigkeit zittert auf der Tischfläche unruhig hin und her. Ich empfinde Genugtuung bei dem Satz. „Ja, das hätte ich mir gewünscht, dass das mal jemand so klar und deutlich gesagt hätte. Ich wollte immer am Tisch aufstehen und ihnen ins Gesicht brüllen, dass nicht alles gut ist. Dass überhaupt gar nichts gut ist. Dass sie doch endlich sagen sollen, was los ist. Was verdammt nochmal nicht stimmt. Ich wusste nämlich nur, dass was nicht stimmte. Aber ich wusste ja nicht genau, was los war. Nur, dass eben nichts gut war, so wie es war und ich verstand nicht, warum alle so tun sollten als ob es trotzdem gut wäre.”
Er schluckt, wippt mit dem Knie ein paar Mal hin und her, dann steht er auf. „Ich geh mal eine rauchen.“
Als ich fünf Minuten später ebenfalls auf die Straße trete, um mich für meinen Auftritt zu entschuldigen, ist er verschwunden. Das wars dann wohl, denke ich und eine Mischung aus enttäuscht und erleichtert sein macht sich in mir breit . Ich raffe meine Haare im Nacken zusammen und binde sie hoch. Den habe ich nun auch vergrault.

Das Quietschen der U-Bahn dröhnt in meinen Ohren. Die zerkratzten Scheiben verschieben die Perspektive. Die hohen Bauten im Hintergrund werden zu fremden Fragmenten. Der Wagon verlangsamt und fährt in den Bahnhof ein. Menschen stehen auf und sammeln sich vor den Türen. Eine Untergrundbahn auf einer Brücke, das ist schon seltsam, denke ich. Der Zug stoppt. Bei der nächsten Station muss ich aussteigen. Oder soll ich lieber jetzt noch etwas laufen. Ich schaue in die Zwischenräume der Gesichter, die sich vor den Fenstern aufreihen und versuche, mit meinem Augen an ihren Blicken vorbei zu navigieren.
Es ist die Stadt denke ich, es ist die Stadt. Ich kann nicht loslassen. Die Erinnerungen umklammern mich fest, als würden sie meinen Blick nach innen drehen und dann eine Nebelmaschine anmachen. Da ist ein Geruch von Heimat. Die Luft im Wagon, etwas Vertrautes. Und dennoch wollte ich nicht hier sein. Warum war ich zurück gekommen? Zuhause habe ich noch Bananen und Milch, daraus könnte ich einen Shake machen, denke ich. Das Gelb der U-Bahn sinkt in mich ein wie Watte. Umgekehrt wäre es schöner. Ich fühle mich schwer und leer zugleich. Denk nach. Zuhause habe ich noch Avokados.

Am 24-Stunden-Späti an der Ecke kaufe ich ein Eis, das nach viel Schokolade aussieht. In der Mitte hat es einen Schokoladenkern, der wie ein zweiter Stiel ist. Die Frau neben mir sagt, sie bietet Kurse dafür an, wie man es schafft, das Innere freizulegen ohne, dass es zerbricht. Ich denke lange über diesen Satz nach. Ein Mann mit hellen Augen beobachtet mich. Er denkt auch nach. Vielleicht über den Tod. Oder übers Reisen, übers Davonlaufen, dass es ihm eigentlich doch ganz gut gefalle. Ich frage ihn, ob er unsere Stadt möge. „Eigentlich nicht“, sagt er.

2

Nichts muss so werden, wie du sagst. Überhaupt gar nichts. Du weißt doch auch gar nicht, wie die Zukunft wird. Du weißt doch überhaupt gar nichts. Sei still, denke ich und will mir schon wieder auf die Stelle an der unteren Lippe beißen, wo die Haut gerade erst neu gewachsen war und noch etwas spannt. Ich sehe ihn aus dem Hauseingang stolpern und die Straße hinuntereilen. Am Abend würde ich ihn vielleicht wieder mit einem Buch auf dem Sofa sitzen sehen, durch die nur halb zugezogenen Gardine, oder am Küchentisch mit einer Zigarette. Und einem Glas Wein. Oder beidem. Er würde traurig aussehen, wie immer, wenn ich ihn am Tisch oder auf dem Sofa sitzen sehe. Nur wenn er aus dem Haus eilt und die Straße hinunter zur U-Bahn oder zum Späti an der Ecke läuft, da sieht er nicht mehr ganz so traurig aus.

Er sagt, er wolle keine Beziehung, er habe dafür gerade keinen Platz im Leben. Ja, und ich habe keinen Platz in meinem Bett, denke ich und tippe mit dem Fuß immer wieder gegen das Stuhlbein. Er lacht. Wieso ich denn eine Beziehung wolle, mein Leben sei doch gar nicht dafür eingerichtet. Ich würde doch auch viel herumreisen wollen. Das könne man auch mit Kindern, sage ich und weiß nicht, ob ich mir selber glauben soll. Ich gebe ihm eine Kopfmassage und er stöhnt ein paar Mal zu viel dabei. Sein Blick ist auf die Ecke mit der Falte in der Wand gerichtet. Ich sage, das sei eine Therapie und später, dass wir heute Abend keinen Sex haben werden. Er sagt, das sei gut zu wissen und will dann plötzlich schlafen gehen. Ich gehe nach Hause und stelle mir vor, dass gar kein Platz in seinem Bett ist für zwei Körper. Dass einer immer halb von der Matratze rutscht. Das Bett ist bestimmt genauso schräg wie die Wand mit der Falte. Am nächsten Morgen bedankt er sich für die gemeinsame Nacht und ich frage mich, warum er dabei den Betreff der E-Mail so rätselhaft krytptisch formuliert. Meine Freundin fände er auch gut, sagt er. Bei ihr versucht er es später bestimmt auch noch.

Der Mann mit der Falte in der Wand ist auch der Mann mit den Haaren. So nennen sie ihn. Diejenigen ohne Haare, oder die, mit nur wenig Haaren. Man kann die Hand in seine Haare stecken und sie verschwindet darin. So voll sind sie. Blond. Gewellt. Weich. Wie Wüstensand. Sie hassen ihn dafür, sagt er und lächelt.

Der Mann mit der Falte in der Wand hat Zeit für ein Abendessen. Oder Kuscheln, zu dritt, wie er schreibt. Sorry, Missverständnis, meine Freundin ist gerade im Urlaub. Aus dem Abendessen wird ein Mittagessen und aus dem Mittagessen ein Kaffeetrinken. Wir sitzen wieder an der Straße, an der Ecke, an der die Tram vorbeifährt und laut neben den Tischen um die Kurve biegt. Ich löffle Milchschaum aus meinem Kaffeeglas und schaue ihn von der Seite an. Ich erzähle ihm, dass ich wisse, was Kuscheln für ein Synonym für ihn sei, dass ich das eingetragen habe, in mein Wörterbuch, damals. Er lacht. Tatsächlich. Das hatte er vergessen. Ach so. Nein, das hätte er nicht gemeint. Aber es sei auch keine schlechte Idee. Er meine nur, wir müssen üben, falls es im Winter keine Heizung mehr gibt.

Ich stelle mir vor, wie der Mann mit der Falte Pizzateig ausrollt und wie sich dabei immer wieder eine Falte in der Fläche abzeichnet, auf dem Teig, der beim Plattdrücken unter der Küchenrolle wegknickt, sich an einer Stelle überlappt und so eine kleine linienartige, aber plastische Erhöhung in der sonst glatten Masse abbildet. Der Mann mit der Falte in der Wand drückt die Falte im Teig nach unten, aber sie bleibt dennoch sichtbar. Er rollt mit dem Nudelholz erneut über die Stelle, aber die Falte bleibt im Teig. Tief in die Oberfläche hineingedrückt, wirkt sie noch fester, noch unbeweglicher, noch unvermeidbarer.
Die Falte im Pizzateig ist nach dem Backen knusprig und kracht im Mund.

Der Mann mit der Falte hat spontan Zeit für ein Mittagessen. Es ist warm, sage ich und wir sitzen draußen, wo neben uns wieder eine Straßenbahn vorbeifährt. Nicht nur die Straßenbahn fährt an uns vorbei, Menschen auf Lastenrädern oder normalen Fahrrädern fahren an dem Tisch, an dem wir sitzen, vorbei. Und sie winken uns. Oder vielmehr winken sie ihm, dem Mann mit den Haaren und er winkt zurück und die Haare wippen dabei kurz, die Haare, in die man die Hand hineinstecken und verschwinden lassen kann. Der Mann mit den Haaren erzählt mir von der Frau, die er seit zwei Monaten trifft. Dass sie darüber nachdenken, zusammen zu ziehen, darüber nachdenken, Kinder zu bekommen. „Das ging schnell“, sage ich. Und dabei führe ich dünne, mit saurer Salatsoße benetzte Mangostreifen zu meinem Mund und sauge sie ein. Wir bekommen von der Bedienung zwei Schokoladenherzen geschenkt. Sie sind in rote Aluminiumfolie gewickelt. Der Mann mit der Falte isst sein Herz und knüllt das Papier zu einer kleinen Kugel, die er über den Tisch rollt. Ich streiche meines auf dem Tisch glatt und forme ein neues rotes Herz daraus. Das flache, platt gedrückte Herz hat kleine rote Krisselfalten in der Oberfläche.

Ich stelle mir vor, wie der Mann mit der Falte versucht, die Falte in seiner Wand weg zu bügeln und wie sie doch immer wieder aus der Tapete quillt. Und ich stelle mir vor, wie er trotzdem immer und immer wieder mit der Hand über die gewellte Fläche fährt, bis sie glatt ist. Für einen Moment.

Vita

 

Valeska Marina Stach, geboren 1993, studierte Freie Bildene Kunst in Ottersberg (Bachelor) und im Master Contemporary Arts Practice mit dem Schwerpunkt Literarisches Schreiben an der  Hochschule der Künste Bern (CH). Sie ist selbstständige Autorin und Kulturjournalistin für verschiedene Online- und Printmedien (u.a. Kunstbulletin, Basler Zeitung, Programmzeitung).  Sie wurde nominiert für  Schwarze Knolle: Förderpreis der Gruppe 48 für das Jahr 2024 und für Mutterland: Retzhof-Preis für junge Literatur 2024 im Rahmen der Werkstatt für junge Literatur Graz. Außerdem ist sie Stipendiatin der Werkstatt für junge Literatur Graz. Seit 2022 arbeitet sie an ihrem Debütroman.

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