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Die Leipziger Autorenrunde 2018: Herz und Geist bewegen

Die Leipziger Autorenrunde: Was verbirgt sich hinter diesem Format?

Die Leipziger Autorenrunde, initiiert von Leander Wattig und veranstaltet von der Leipziger Buchmesse, ging am 17. März 2018 in die sechste Runde. Das Programm ist gewachsen, die Reihe, die 2013 startete, groß geworden, ihr Wesenskern aber bis heute erhalten geblieben. Unterschiedliche Akteure der Buchbranche begegnen sich auf Augenhöhe, lernen von und miteinander, inspirieren und vernetzen sich in ungezwungener Atmosphäre. Für ein Catering ist gesorgt.

Leander Wattig, die Leipziger Buchmesse, Sponsoren und Medienpartner der Leipziger Autorenrunde haben das Unmögliche möglich gemacht: An diesem Messe-Samstag steht uns der größte Saal im CCL zur Verfügung. War 2017 die Akustik noch eine Herausforderung, so lässt sich 2018 tiefenentspannt an. Trotz bis zu achtzehn gleichzeitig stattfindenden Tischrunden ist es jedem Teilnehmenden gut möglich, sich auf die ausgewählten Referenten zu konzentrieren.

Zum Auftakt begrüßen die Bestellerautorin Poppy J. Anderson, der Buchmesse-Direktor Oliver Zille und Leander Wattig, in seiner Funktion als Programmkurator, die Gäste und Mitwirkenden. Leander erklärt den Neulingen – es sind einige hinzugekommen – den Programmablauf. An insgesamt 54 Tischen werden Branchenprofis zu unterschiedlichen Themen rund ums Schreiben, Veröffentlichen und Wahrgenommen werden referieren. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, an bis zu sechs Gesprächsrunden zu partizipieren.  Zweimal hintereinander bieten die Referenten ihr Thema an, dann wechseln Sujets wie Vortragende.

Der Entscheidungsprozess: Wer die Wahl hat, hat die Qual

Da ich gemeinsam mit der Lektorin und Schreibhain-Dozentin Susanne Zeyse zwei Tischrunden mit dem Titel „Mein originäres Thema finden“ anbiete, werde ich vier Kollegen live erleben dürfen und entscheide mich für

  • „Wonach suchen Verlage? Programmarbeit und Entscheidungsprozesse im Bereich Belletristik“, moderiert von der Verlagsleiterin beim Arche Literatur Verlag (bis 2017) Ulrike Ostermeyer
  • „E-Book-Serien – Was man aus der Welt der Fernsehserien lernen kann und was nicht“, angeboten von Michael Meisheit alias Vanessa Mansini
  • „Wie man im literarischen Stadtleben sichtbar wird“ vom stellvertretenden Chefredakteur bei tip Berlin und Zitty und für mein persönliches Highlight
  • „Trauma als Text – Wie Leid in Literatur umwandeln“, vom Schriftsteller und Journalisten beim Deutschlandfunk Jan Drees

Gesprächsrunde eins und zwei

„Wonach suchen Verlage? Programmarbeit und Entscheidungsprozesse im Bereich Belletristik“, moderiert von der Verlagsleiterin beim Arche Literatur Verlag (bis 2017) Ulrike Ostermeyer

Am Tisch von Ulrike Ostermeyer braucht es nicht lange bis die vielen angestauten Fragen der anwesenden Autorinnen und Autoren sich Bahn brechen:

  • Was ist besser, bei einem kleinen Verlag die volle Aufmerksamkeit zu bekommen oder die Marktmacht einer der „Riesen“ zu nutzen, auch wenn ich Gefahr laufe neben den Spitzentiteln unterzugehen?
  • Wie fällt mein Text in der Flut der Einreichungen auf oder kann ich mich ausschließlich über eine Literaturagentur bewerben?
  • Wie lange im Voraus wird ein Programm geplant und was erwartet der Verlag von mir als Autor?

Die ehemalige Verlagsleiterin Ulrike Ostermeyer gibt sachlich wie präzise Auskunft, wird nie ungeduldig und ist den Fragenden stets zugewandt.

Es sei eine Notwendigkeit das Programm des Verlages sehr genau zu kennen, bewerbe man sich ohne eine Literaturagentur im Rücken auf eigene Faust. Die Agentur kenne die Ansprechpartner und unterschiedlichen Lektoren, sie wisse, was gerade gesucht werde, insbesondere bei Genretiteln, die oftmals sehr spezifisches Charakteristika forderten. Anders verhielte sich Letzteres in den Verlagen mit einem dezidiert literarischen Programm, hier spielten v.a. große Themen eine Rolle und die Erzählstimme eines Autors. Man sei auf der Suche nach Überraschungen und weniger festgelegt, was den Stoff angehe. Zwei bis drei Programme plane ein Verlag im Vorfeld, die Vertreterkonferenz fände ein halbes Jahr vor Erscheinen des Titels statt. Wer sich also im Oktober 2018 im Buchhandel sehen wolle, müsse sich spätestens Anfang 2017 beworben haben. Taschenbücher unterlägen immer noch monatlichen Erscheinungsdaten, die Hardcover kämen meist halbjährlich heraus, kurz vor den Buchmessen.

Der moderne Autor müsse noch viel mehr mitbringen als ein herausragendes Buch. Er solle medienaffin sein, mit seinen Lesern in Kontakt treten und Events wie Lesungen lieben. Der Künstler zum „anfassen“, das werde wieder nachgefragt.

Ob es sinnvoller sei, sich für einen kleineren oder größeren Verlag zu entscheiden, darauf wollte sich Ulrike Ostermeyer nicht festlegen. Der höhere Fokus auf ein bis zwei deutschsprachige Autoren im Halbjahresprogramm spräche für die Kleineren, die Marktmacht für die Publikumsverlage. Heute entscheide man sich als Autor bei Publikumsverlagen weniger für Programmunterschiede, sie glichen sich alle mehr oder weniger, vielmehr treffe man eine Wahl, zu welcher Community man gehören wolle.

„E-Book-Serien – Was man aus der Welt der Fernsehserien lernen kann und was nicht“, angeboten von Michael Meisheit alias Vanessa Mansini

Ein Gong ertönt, Leander fordert uns auf, eine Runde weiter zu ziehen. Ich setze mich an den Tisch von Michael Meisheit, der viele Jahre für die Lindenstraße geschrieben hat. Ich durfte ihn bei einer Weiterbildung an der Masterschool Drehbuch kennenlernen und erinnere mich an die sympathische Ausstrahlung des Kollegen, der heute sehr erfolgreich unter dem Pseudonym Vanessa Mansini Serien schreibt. Er erzählt locker-flockig von der Notwendigkeit dreidimensionaler Figuren, dass es insbesondere im Serienformat genau darauf ankäme. Denn – so seine These – Leser liebten und hassten Serien. Michael Meisheit musste am eigenen Leib erfahren, dass sich sein E-Book „Im falschen Film“ eher schleppend verkaufte, als er die Serie zunächst unabgeschlossen in wöchentlichem Rhythmus für 99 cent und 70 Seiten anbot. Das änderte sich, als seine Leser die komplette Staffel erwerben konnten. Seine Fans warteten lieber auf das Erscheinen der „Staffel“. Analog, sagt Michael Meisheit, verhalte es sich bei Fernsehserien, Zuschauer liebten binge-watching und warteten lieber bis eine Staffel komplett verfügbar sei. Dennoch liebe er diese Form, Serien wöchentlichen erscheinen zu lassen, und hält daran fest. So binde man einen kleinen Leserkreis (in seinem Fall ca. 1000) an sich und kommuniziere sehr intensiv mit ihnen. Dies wiederum verfehle auch nicht die Wirkung auf den erweiterten Leserkreis, der auf die Staffel wartete. Der Autor bliebe immer im Gespräch mit seinen Fans. Darum ginge es speziell im Selfpublishing. Gewinnspiele und Kontaktpflege seien zum Beispiel unabdingbare Tools, ein eigener Newsletter Gold wert.

Michael Meisheit geht auch auf den Unterschied zwischen Serie und Reihe ein. Eine Serie baue aufeinander auf, sie hangele sich von Cliffhanger zu Cliffhanger und könne stets weiter erzählt werden. Die Reihe hingegen habe je einen abgeschlossenen Fall, so sei z.B. der Tatort eine Reihe, anders als GZSZ, das ein Serienformat bediene. Autoren trügen dem Wunsch nach einer in sich geschlossenen Geschichte auch im Serienformat Rechnung, indem sie in Staffeln erzählten, also wenigstens eine Frage der Serie im Finale beantworteten.

Gesprächsrunde drei und vier

„Mein originäres Thema finden“, Referentinnen sind Tanja Steinlechner und Susanne Zeyse von der Autorenschule Schreibhain

Die Mittagspause unterbricht die Tischrunde und ermöglicht allen Teilnehmenden sich zu stärken und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Susanne und ich sind danach an der Reihe. Für 5 Minuten ist unsere Tischrunde die Stillste im Saal. Unsere Teilnehmer erproben, während einer praktischen Schreibübung, ihrem ureigenen Thema auf die Spur zu kommen. Alan Watt, der, seit ich sein Herangehen kennengelernt habe, mein eigenes Schreiben sehr veränderte, es dichter machte und mich näher an meine Stimme heranführte, soll sie dabei unterstützen. Die Übung geht so:

Suche Dir einen Gegenstand im Raum und erzähle aus der Ich-Perspektive seine Geschichte. Wichtig ist dabei, dass Du automatisch schreibst, den Stift nicht absetzt.

Im Anschluss werten wir aus, welche Themen im Text aufschimmern, Themen, die mit dem ureigenen Stoff des Autors korrespondieren. Die Teilnehmenden sind irritiert, weshalb funktioniert dieses Vorgehen so gut?

Wer jetzt neugierig geworden ist und mehr über unseren Vortrag erfahren will, dem verlinke ich meinen Blogbeitrag. Auf Wunsch schicke ich Euch gern meine Präsentation zu. Hier könnt Ihr sie anfordern.

„Wie man im literarischen Stadtleben sichtbar wird“ vom stellvertretenden Chefredakteur bei tip Berlin und Zitty und für mein persönliches Highlight

Eine Kaffeepause, die viel zu schnell vorüberzieht, folgt. So viele wunderbare Kolleginnen und Kollegen sind vor Ort, ich schaffe es leider nicht, mich mit allen zu unterhalten.

Weiter geht es mit Eric Heier und den Berliner Stadtmagazinen tip und Zitty. In dieser Runde werden rasch Visitenkarten weitergereicht, es besteht reges Interesse. Was bieten wir, dass für Eric von Interesse ist? Wie werden wir selbst auf literarische Veranstaltungen aufmerksam? Es ist dies eine Tischrunde, die vor Lebenslust und Entdeckergeist sprüht und die ursprüngliche Idee der Vernetzung ins Zentrum rückt. Spielend gelingt hier, wofür dieses Format ursprünglich entwickelt worden ist. Quasi nebenbei fliegen Literarische Berliner Veranstaltungsreihen als Wortfetzen über den Tisch. Wir notieren eifrig, freuen uns über die Kontakte, die wir hier knüpfen, über Anregungen und Inspiration. Storyfusion, Rich Kids Of Literatur, kabeljau und dorsch, Hauser und Tiger und der Feuerpudel. Pub´n´ Pub, ergänze ich.  Ich verlinke diese Formate und jeder schaue selbst, welches ihn anspricht.

„Trauma als Text – Wie Leid in Literatur umwandeln“, vom Schriftsteller und Journalisten beim Deutschlandfunk Jan Drees.

An diesem Messesamstag im CCL fliegt die Zeit und steht sie gleichzeitig still. Gespräche rauschen, klingen nach und verhallen. Nur noch eine Gesprächsrunde ist offen und doch ist klar, wofür ich mich entscheiden werde, verhandelt mein Manuskript doch genau jenes Thema, das bei Jan Drees´ Gesprächsrunde Sujet ist: Trauma als Text. Nicht von meinem eigenen Trauma erzähle ich, auch wenn Jan sagt, in uns allen sei mindestens eines beheimatet. Vielleicht ist mein eigener Text in diesem Sinne eine Näherung, ein Kreisen um Traum und Erinnerung, um Wirklichkeitskonstruktion und ihr dokumentarisches Erfassen, das sich in diesem Stück Literatur nur im Unbewussten ereignen kann. Wenn zwei Liebende über ein transgeneratives Trauma aneinander gebunden sind und davon nicht wissen, wenn die Tochter, nach dem Suizid der Mutter, durch Alpträume Fremder wandeln und diese verändern kann, wenn all das, im Stil Murakamis, wahrhaftig und doch traumähnlich erlebbar wird, dann hat meine Erzählung mit Jan Drees Auseinandersetzung zu tun und berührt mich schon deshalb.

Was ich aber nicht erwartet habe, ist, dass ich auf einen Meister seines Fachs treffen werde, einen Schriftsteller, dem ich 45 Minuten lang „live“ beim Denken zusehen darf, der Bezüge zieht, und fortspinnt, der seine Tischrunde miteinbindet und doch nicht auf sie angewiesen ist. Was kann und ist Literatur, fragt Jan Drees und eröffnet seine Runde mit einer Frage, die uns alle an diesem Messesamstag ins CCL geführt hat und uns bindet. Fernab von Marketing und Verkaufsstrategien, ist sie der Urgrund allen Schreibens und Lesens, und trifft deshalb.

„Ein Trauma“, denkt Jan Drees laut, „ist eine Wunde, die sich nicht schließt, etwas das uns überfordert, persönlich oder gesellschaftlich.“ Über das Verhältnis von Israel und Palästina spricht er, über William Styron und den Stand der Depressionsforschung in den U.S.A. und Europa, über Möglichkeiten von Poesietherapie und Literatur und transgenerativer Erinnerung. „Das Gespräch eines Lebensmüden mit seiner Seele“, fällt als Referenztext, ca. 1700 v. Christus im alten Ägypten entstanden.

Wir sprechen über den Prozess des Schreibens, wenn wir uns traumatischen Geschehnissen annähern. Jan Drees schreibe täglich, darum gehe es, sagt er. Die Geschichte zeige sich im Material und seiner Anhäufung, in nicht zu überblickendem Material, denn er könne nicht linear von solcherlei Erlebn erzählen. Es gehe – wie immer, aber in diesem Fall besonders – ums Liegen- und Ruhenlassen, ums wieder und wieder neu schreiben, bis eine Geschichte entstünde. Er sei derart vorgegangen: KLarsichthüllen habe er genutzt, eine Hülle für jede Szene. Er habe Material gesichtet, ausgeschnitten und den jeweiligen Hüllen zugeordnet.

Ein wichtiger Tipp, den er als Feedback zu seinen Texten erhalten habe: Je mehr passiere, je schrecklicher und unbegreiflicher etwas sei, umso ruhiger solle er davon erzählen. Er wisse nicht weshalb das aufginge, aber dieses Stilmittel verfehle nicht seine Wirkung.

Ich vermute im Bruch dieser Stille erlebt der Leser das Grauen umso mehr, im Kontrast hebt es sich umso deutlicher ab.

Es gehe darum, so Jan Drees, das Kreisen der Gedanken in Linien zu überführen. Wir bewegten uns in einem Spannungsfeld, die erste Person sei besonders retraumatisierend, die zweite Person besonders manipulativ.

Noch am Donnerstag hielt ich einen Vortrag auf der Buchmesse zum Thema „Haben Sie das wirklich erlebt? Zwischen Authentizität und literarischer Verwertung.“ Jan Drees scheint sich mit ähnlichen Fragen zu befassen und formuliert eine mutige These: „Die erfolgreichsten Autoren schreiben und erzählen immer von sich selbst.“

Natürlich meint er damit nicht die bloße Abbildung von Wirklichkeit, aber er greift auf, was mich an Alan Watt so begeistert, auch wenn Jan Drees diesen Alan Watt und sein Buch „The 90 day novel“ möglicherweise gar nicht kennt, ich habe ihn darüber nicht befragt.

Unsere größte Angst weist uns den Weg zum Schreiben, ist gleichermaßen persönlich wie überpersönlich. Sie weist den Weg ins Dilemma unserer Figur. Die Angst, ohne Fassaden zu sein steht dem Wunsch gegenüber, insbesondere im Schreiben, zu sich zu kommen, zum Kern, und nur der interessiert auch den Leser, weil er existenzielle Fragen berührt. Die Angst ist ein Fundus fürs Schreiben, sagt Jan Drees.

Wir suchen nach Tabuthemen und von ihnen ausgelösten Fragen, die die Literatur umtreiben. Der Tod und der damit einhergehende Kontrollverlust interessiert unsere Runde. Begierde könnte man ergänzen oder Besessenheit, unstillbare Sehnsucht, Liebe vielleicht. Gewalt, die andere Seite der Medaille, oder eben gerade nicht, weil so dicht an überbordende Gefühlen und Regungen grenzend. Wir denken an „Die Leiden des jungen Werther“, wir denken an Kafkas „Verwandlung“. Jan Drees zitiert Boethius und aus „Der Trost der Philosophie“. Er habe große Angst vor dem Tod, sagt er. Seine Angst ist meiner nicht fremd, diese Angst vor dem großen Verschwinden, der persönlichen Auslöschung. Neulich entdeckte ich den Blog Sterben üben. Meine Gedanken ziehen Kreise. Ich werde sie in Linien überführen und danke, neben Leander Wattig, der solche Begegnungen wie die mit Jan Drees, möglich macht, einem Schriftsteller, dessen Roman ich schon jetzt lesen möchte.

Oliver Zille sagte zur Eröffnung der Veranstaltung er wünsche uns zumindest eine Begegnung auf dieser Buchmesse, die Herz oder Geist berühre. Jan Drees Tischrunde hat dies in besonderem Maße geleistet. Herzlichen Dank dafür.

 

 

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