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#weiterschreiben100 – Fiktion

Berlin, 19. März 2020

Georg Burmeier

Hotel Tempelhof

Ganz ehrlich, man kann es den Leuten anmerken, also ich jedenfalls kann das. Dieses Hastige, dieses Buckelige, die ganze kranke Art zu gehen, widerlich ist das. Machen sich ganz schmal auf dem Trottoir, als würde man sie so übersehen. Natürliches Vitamin D gibt´s halt nur noch für VEPs, für viral einwandfreie Personen, der Rest bleibt besser zuhause. Das gilt auch für die Damen und Herren von der Kollwitzstraße. Ich bin da mittlerweile rigoros. Null Toleranz – keine Verwarnung mehr. Sicher, ich möchte nicht in deren Haut stecken und schon gar nicht im Hotel. Aber was kann man da machen? Meine Empathie ist aufgebraucht, und ich hatte mal jede Menge.

Dann kam ich irgendwann zur Solidaritätsbewegung, weil ich die hedonistischen Grab-Tänzer aus der Club-Szene nicht länger ertragen habe. Party-Trash. Und so fing das an, damals. „Keine Macht dem Virus!“, „Zusammensteht, wer nicht zusammen steht!“. Ich wurde gut darin, Menschen, die gegen das 3. Sozialisierungsverbot verstießen, zu annoncieren, so gut, dass ich mich für eine Totalimmunisierung und für diese verantwortungsvolle Aufgabe hier empfohlen habe.

Ach ja, die Verantwortung. An die hatte damals auch die letzte Bundeskanzlerin der alten Republik in einer rührseligen Fernsehansprache appelliert, aber wo das hinführte, wissen wir alle. Nach den ersten zwei Jahren Wirtschaftskrise, mitten in der dritten Pandemiewelle, wurde die Infektion endlich unter Strafe gestellt. Das war zunächst hart, auch für mich. Verantwortung übernehmen. Da überlegst du dir dreimal, wem du zu nahekommst, oder mit wem du redest, oder ob du überhaupt noch mal was sagst.

Das Reden habe ich mir persönlich komplett abgewöhnt, seit Sandy, selig, zu mir sagte: Ich kann deine Viren sehen, wenn du sprichst. Du Sau! Sie war wohl schon vor mir bei VirusWatch, hatte die erste Betaversion der ScanU auf der Nase und wollte mich einchecken. Bei unserem ersten Date, das muss man sich mal vorstellen… Da ist was in mir zerbrochen. Aber in Sandy auch, und zwar noch bevor sie mich bei der Zentralstelle annoncieren konnte.

Die Totalimmunisierung war meine letzte Chance, dem Hotel Tempelhof zu entgehen. Ich weiß, die Gummipelle wäre nicht jedermanns Sache, aber meine zweite Haut schützt mich vor viralen Angriffen und die Permamaske vor dem Erkanntwerden. Ich habe mich für das Modell Christiano Ronaldo entschieden, total old school Proll mit dem nicen Touch des Wohltäters, der während der ersten Pandemie seine Hotels in Krankenhäuser umwandelte.

Das Image als Hotelier ist ein Bonus. Schafft Respekt. Die bläuen einem ein, die konzentrierte Quarantänemaßnahme im Tempelhof sei nur vorübergehender Natur, aber ich weiß es besser. Keiner von den Gästen, die in eines der dreißig Untergeschosse eingecheckt wurden, die sie unter den alten Flughafen gesprengt haben, kam bislang zurück.

Es heißt, sie testen Impfstoffe gegen mögliche Virusmutationen, ja sie schlagen dem Virus quasi Ausweichmöglichkeiten vor, auf die wir dann vorbereitet sind. Das Dumme ist: Dem Virus fallen immer noch gemeinere Varianten ein, und deswegen ist Covid-25 jetzt eine ganze Armee.

ScanU ist mittlerweile eine Kontaktlinse und am Ende eines harten Arbeitstages flimmert es noch lange rot in meinen Augen. Das sind die Alarmierungen, keine sichtbar gemachten Virencluster. Ich hatte Sandy den Mumpitz tatsächlich abgekauft, heute weiß ich, dass die ScanU-Software mittels Gesichtserkennung soziale Medien, Bewegungshistorie und persönliche Daten algorithmisch zu einem Profil verdichtet, das eine Infektionswahrscheinlichkeit ausspuckt. Bei mehr als 40% annonciere ich, bei mehr als 50% ist der Check-In unausweichlich. Dann heiß es: Verantwortung übernehmen.

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