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#weiterschreiben100 – Dokumentarisches

Belgien, 25. März 2020

Autorin: Ulrike Günther

Eine Woche Quarantäne. For real.

Tag 1

Ein Anruf vom Gesundheitsamt an einem sonnigen Sonntagnachmittag. Quarantäne, heißt es. Bitte zu Hause bleiben, heißt es. Und, bitte, zu Hause Abstand halten!

Naja, dafür ist es jetzt jawohl auch zu spät, denke ich und stelle die Kaffeetasse meines Partners ab, aus der ich gerade einen Schluck genommen habe. Quarantäne also, zu zweit, zwei Wochen lang. Gut, dann mal los.

Was folgt ist Organisation. Termine absagen, Emails schreiben, Menschen Bescheid geben, dass man bis auf weiteres verhindert ist. Ein kurzer Gedanke daran, wie eng der eigene Kontakt mit den Menschen war, die erkrankt sind. Fazit: lieber nicht zu lange darüber nachdenken!

Tag 2

Ahhh…Ausschlafen. Es ist Montag und es passiert rein garnichts. Eine ungeahnte Freiheit macht sich breit. Keine Deadline, keine berufsbedingte Reise, nicht mal ein Zahnarzttermin ist noch übrig. Ich fröne dem Nichtstun und habe, wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Arbeitsleben als Selbstständige, kein schlechtes Gewissen.

Ich habe Zeit ohne Ende und frage mich in welcher Reihenfolge ich wohl all das mache, wofür ich mir sonst nie die Zeit nehme: Bücher lesen, die schon lange im Regal stehen oder Filme anschauen, bei denen ich immer denke, die sollte ich gesehen haben. Oder, weniger lustig, meinen Schreibtisch aufräumen oder meine Steuererklärung vorbereiten, oder mein Emailpostfach entrümpeln oder oder ODER … .

Die Sonne scheint. Ich gehe in den Garten.

Dort darf ich nämlich sein, trotz Quarantäne.

Tag 3

Beim Blick in den Kühlschrank wird mir schmerzlich bewusst, dass ich in den nächsten zwei Wochen nicht selbst einkaufen gehen darf und in keiner Form darauf vorbereitet bin. Gemüse, Käse, Eier, alles was frisch ist, verdunstet förmlich, jetzt da zwei Erwachsene 24h am Tag zu Hause sind. Konserven, Nudeln und Haltbares. Selbst diese Dinge kaufe ich nicht auf Reserve. Warum nicht? Es ist ja immer alles vorhandenIch ärgere mich über meine eigene Kurzsichtigkeit. Ich kann nicht mal Brot backen, soweit ist es also schon! Zerknirscht suche ich die Nummer Dorfbäckerei raus und frage etwas verunsichert:

„Könnten Sie uns Brot zur Tür bringen, wir sind leider in Quarantäne…“

„Kein Problem!“ bekomme ich zur Antwort und bin erleichtert.

Ich bitte einen Nachbarn um ein paar Einkäufe, die er gern für uns übernimmt. Alle um uns herum verstehen die Situation und sind tatsächlich sofort zur Stelle um zu helfen. Am Abend bekommen wir also eine Kiste mit Lebensmitteln und die Solidarität meiner Mitmenschen versöhnt mich kurzzeitig mit der misslichen Lage.

Doch dann erzählt unser Nachbar von seinem Einkaufsausflug. Erzählt von den leeren Regalen und den banalsten Dingen, die einfach nicht mehr zu kriegen sind: Mehl, Nudeln, Eier, Äpfel. Alles ausverkauft. Nicht weil die Menschen plötzlich alle Apfelkuchen mit Fusilli-Streuseln backen wollen, sondern, weil sie die Dinge zentnerweise unter ihren Betten, oder was weiß ich wo, horten. Der kurze Hoffnungsschimmer der Solidarität verpufft in einer Wolke nicht vorhandenen Mehls und macht mich für den Rest des Abends sehr betreten.

Tag 4

Gartenarbeit, Gartenarbeit, Gartenarbeit. Je mehr das öffentliche Leben um mich herum eingeschränkt wird, und je mehr ich von Freunden höre, die in winzigen Stadtwohnungen ausharren, desto dankbarer bin ich für den Platz an der frischen Luft, den ich hier habe. Unendlich dankbar! Ich grabe mich also durch verschiedene Erdschichten, lege Beet an, sähe Blumen und Gemüse aus bis die Sonne langsam untergeht. Anschließend bleibe ich todmüde auf dem Sofa sitzen, während die Abendnachrichten immer neue erschreckende Zahlen verbreiten. Todesfälle ohne Ende in Italien, Anstieg der Todesrate in Spanien, in Frankreich. Nirgendwo mehr genug Schutzkleidung, überlastetes Krankenhauspersonal

Und zum ersten Mal seit Tagen bin ich ganz froh nicht raus zu müssen.

Tag 5

Ich versuche es mit Home-Office und bleibe doch irgendwo zwischen dem Newsticker und den sozialen Netzwerken stecken. Ich weiß, man soll sich nicht so zu bombardieren lassen. Das mache nur nervös, haben sie heute Morgen im Radio gesagt, gleich nach der xten Beschreibung des richtigen Händewaschens (ja, im belgischen Radio hören wir zweimal pro Stunde die korrekte Coronahygiene und die Regeln zum ordnungsgemäßen Nicht-Kontakt mit anderen Menschen, aber ich soll nicht nervös werden).

Kurz bevor ich es schaffe mich dem Sog der Netzwerke zu entziehen, fällt mir ein verlinkter Artikel zur Notlage der Bauern in Deutschland auf. Daran hatte ich bisher natürlich nicht gedacht: Erntehelfer. Wenn man so zu Hause sitzt und nur noch von 12 bis Mittag denkt, weil sich die Situation außerhalb der eigenen vier Wände stündlich ändert, fehlt einem der Blick r’s Größere. Für die Folgen. Ich lese also weiter und entdecke tatsächlich zwei Internetseiten, die freiwillige Erntehelfer/innen und Landwirte zusammenbringen. Ich melde mich an. Wenn der ganze Spuk noch länger geht und ich ohnehin nicht arbeiten kann, weil ich Kultur mache und alle Kulturinstitutionen dicht sind, dann geh ich halt Gemüse ernten.

Übrigens:

https://www.land-arbeit.com/

https://bauersuchthilfe.de/

Tag 6

Heute ist ein schwieriger Tag. Heute ist ein Scheißtag.

Die Quarantäne schlägt mir auf’s Gemüt, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, positiv zu bleiben. Ich fühle mich nutzlos.

In meinem Bekanntenkreis gibt es mittlerweile einige erkrankte Personen, denen ich keine Unterstützung anbieten kann, da ich, obwohl ich mich, zum Glück, nicht krank fühle, selbst um Hilfe bitten muss.

In meinem engen Familienkreis gibt es medizinisches Fachpersonal. Ich höre aus erster Hand wie die Situation in den Krankenhäusern ist, wie Notfallpläne aktiviert werden, Personal aus anderen Bereichen hinzugezogen wird. Die Probleme, die die Privatisierung des Gesundheitssystems mit sich bringt sind mir nicht neu, sie werden nur plötzlich viel sichtbarer.

Wird sich daran etwas ändern? DANACH?

Tag 7

Langsam entsteht so etwas, wie ein Tagesrhythmus. Vormittags Homeoffice, nachmittags Beete anlegen. Abends Skype mit Menschen, die mir wichtig sind und zur Zeit einfach fehlen.

Ich lerne anders zu kochen mit dem was da ist und es funktioniert. Ich spreche täglich mit meinen Nachbarn, über den Zaun natürlich. Wir sind in ständigem Austausch und lernen uns tatsächlich besser kennen.

Mein Garten sind gut vorbereitet auf den beginnenden Frühling und ich belese mich wie man Gemüse einkellert, um sich besser selbst zu versorgen. Einkellern ist ein Wort, das ich das letzte Mal von meiner Oma gehört habe, als ich etwa 10 Jahre alt war. Ich glaube, es würde ihr gefallen, dass ich es wieder benutze.

Es fehlt mir unfassbar, ins Theater zu gehen, an Kultur teilzunehmen, Kino, Museen, Ausstellungen zu besuchen. Aber ich lasse mich dadurch trösten, dass immer mehr Kulturorte ein virtuelles Programm schaffen. Ich kann vom Sofa aus Theatervorstellungen in Brüssel, Berlin und München sehen, natürlich ist es anders als im Saal zu sitzen, aber macht trotzdem Spaß.

Ein Fazit dieser Woche?

Lieber nicht.

Außer, dass es verdammt dämlich ist, nicht mal ein Brot backen zu können …

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