Autorin: Patricia Foidl
Das Gesundheitsamt verordnet positiv getesten Covid-Personen und deren ersten Kontaktpersonen eine tagelange Quarantäne, das Krankenhaus hat seine Türen verschlossen und die Pflegehelfer*innen im mobilen Dienst müssen zu Hause bleiben. Das soll der Eindämmung der Pandemie dienen. Verordnungen fehlt per se Menschlichkeit. Ich habe mich für selbige entschieden.
Aus meinem Tagebuch
30.11.2020
Spaziergang mit Lore, sie geht mit Blinden-Stock, Käsekuchen vom Menzinger Herzl-Bäcker, Whisky-
Torte für Götz.
3.12.2020
Begleitung zum Neurologen, 4h, Lore, heute 81 Jahre, hat zum Geburtstag eine schwere Depression
und Pseudo-Demenz bescheinigt bekommen. Zwei Tage später ist Lore im Wohnzimmer ohne erkennbaren Anlass gestürzt. Ihr Kopf ist am Holzboden aufgeschlagen und ihr Sohn hat sie gefunden. Unsere Welt änderte sich im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig: „Sie hat gute Vitalfunktionen. Ich finde keinen Grund, Frau Erdmann mitzunehmen. Wenn Sie darauf bestehen, dann können sie jederzeit den Notarzt rufen.“
Götz und ich gafften den Sanitäter an und rangen damit, die Tragweite seiner Worte zu verstehen.Wir haben am Wochenende in Schicht gewacht, gepflegt und viel geredet. Krankenhaus ab Montag hatte Götz
für seine Mutter entschieden. Der Notarzt kreuzte seinen Plan .
„Ich hab‘ Corona, gell?“
„Ja.“
„Götz auch. Hast Du auch Corona?“
„Nein.“
„Was ist überhaupt ein Corona?“
„Ein Virus.“
„Ich merke davon gar nichts.“
„Sei froh.“
„Im Vogelhäuschen geht es ganz schön zu. Klar, die Meisen haben immer Hunger! Wenn nur das Eichhörnchen
das Futter in Ruhe lassen würde.“
Lore liegt seit zehn Tagen die meiste Zeit auf Ihrem Canapee. Ich habe sie heute in eine Wolldecke gehüllt,
Pfefferminztee serviert und mich auf das Sofa gegenübergesetzt. „Ach weißt Du, ich habe das Gefühl mein Leben zieht an mir vorüber. Als wäre ich gar nicht mehr dabei. Heute Nacht habe ich wieder so geschwitzt. Wann bist Du eigentlich gekommen?“.
„Ich schneid‘ uns mal ein bisschen Obst auf und nachher wasche ich Dich wieder.“
„Okay. Aber vorher möchte ich noch etwas schlafen.“
Wenn sie döst, schreibe ich. Ich schreibe in diesen Tagen ihr Leben weiter und packe die vielen Anekdoten, die
sie stammelt, in Worte. „Wie verrückt bist Du eigentlich? Wenn die dich erwischen! Du steckst uns noch alle an“,
brüllt mir eine Bekannte ins Telefon.
„Mmmmhhhh. Du hast eine Persimon mitgebracht. In unserem Garten hatten wir davon so viele.“
„Echt? Du hast auch mal erzählt, dass ihr auf der Farm im Waitituna einen Grapefruitbaum hattet.“
„Stimmt. Und Peter, unser Schaf hat die Blätter gerne gefressen. Hat Meike Dir auch erzählt, dass Peter gestorben ist? Ich würde schon gerne nochmal nach Neuseeland fliegen. Meinst Du ich werde wieder gesund?“
Ich schlucke, lächle und streichle Heide wieder am Rücken. Das mag sie und ihr Sohn atmet auf.
„Ohne dich wäre ich verrückt geworden!“
„Hast Du geschlafen?“
„Kaum.“
Er bricht auch das Gesetz: er geht einmal am Tag alleine spazieren.