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Vom Glück und Unglück des Schreibens


Schreiben: Das Armutsrisiko?
Eine Veranstaltung des Netzwerks Autorenrechte
Rund 90.000 Neuerscheinungen aus Verlagen, dazu 150.000 Selfpublisher-Titel, überschwemmen pro Jahr den Buchmarkt. 50.000 Wortarbeiter sind bei der Künstlersozialkasse registriert, d.h. diese verdienen mindestens 3900 € im Jahr, ein Monatsgehalt unter 400 €.  Der durchschnittliche Jahresumsatz eines bei der KSK gemeldeten Autors liegt zwischen 15.000 – 20.0000 € pro Jahr. Wie können sich unter diesen Bedingungen Autorinnen und Autoren ein menschenwürdiges Leben aufbauen – oder anders gefragt: Wie können sie wenigstens überleben, ohne ihr Schaffen zu vernachlässigen?

Es ist Buchmessesonntag in Leipzig und auf der Bühne in Halle 5 moderiert Nina George eine Veranstaltung des Netzwerks Autorenrechte. Schon der Titel eine Frage, die sich auch meine Studentinnen und Studenten der Autorenausbildung im Schreibhain immer wieder stellen: Bedeutet schreiben, übe ich es als Beruf  aus, notwendig ein Armutsrisiko in Kauf zu nehmen?

Was können Berufsverbände tun?

Eva Leipprand, Politikerin, Schriftstellerin und Bundesvorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS), engagiert sich für Autorenrechte. Sie plädiert für gerechte Verteilung in der Wertschöpfungskette. Die Kreativen, die Kultur und Vielfalt durch ihre Tätigkeit begründeten, dürften nicht an letzter Stelle dieser Verwertung stehen. Insbesondere für Plattformen, die im Netz Titel zur Verfügung stellen, müssten Lösungen gefunden werden. So könnten zum Beispiel Lizenzen vergeben oder neue Beteiligungsmodelle geschaffen werden. Schriftstellerinnen und Schriftsteller, so Leipprand, kämpften an so vielen Fronten um ihre Existenz, es könne nicht erwartet werden, dass sie sich im Alleingang, auch noch um solche Fragestellungen bemühten, die im Kern einer politischen Antwort bedürften. Nina George ist eine Autorin, die sich über ihre Arbeit am eigenen schriftstellerischen Werk hinaus für die Rechte ihres Berufsstands einsetzt und sich immer wieder aufs Neue unermüdlich engagiert. So ist sie nicht nur Beisitzerin im Bundesvorstand des Verbands deutscher Schriftsteller, u.a. beauftragt mit dem Bereich Urheberrecht, und Beirätin des PEN-Präsidiums, sondern auf ihre Initiative hin gründete sich auch das Netzwerk Autorenrechte, in dem sich erstmalig Schriftstellerinnen und Schriftsteller, vertreten durch neun Schriftstellerverbände, zusammenschlossen, um gemeinsam ihre Stimme geltend zu machen.              

Zahlen, Fakten und das Sterben der Midlist

Die Bestsellerwahrscheinlichkeit, sagt Nina George, läge bei 0,8 %. 3000 € Vorschuss gäbe es für Debütanten im Durchschnitt (in Kleinverlagen oft gar keinen Vorschuss) und dafür arbeite die Autorin/der Autor im Schnitt 1000 Stunden. Janet Clark, Thriller- und Jugendbuchautorin, ergänzt: ca. 6 % des Nettoladenpreises erhielte der Autor / die Autorin im Taschenbuch. Von diesem Umsatz  gingen noch einmal 15 % an die Literaturagentur und das alles vor Abzug der Steuern. Nur 7% der Schriftstellerinnen und Schriftsteller teilten sich den größten Umsatz. Woran aber liegt das? Oft gehört und immer wieder betrauert: das Sterben der Midlist. Diese stellen Autorinnen und Autoren mit regelmäßig guten Verkäufen. Ihnen gelingt es aber nicht, ganz oben, in den Bestellerlisten, mitzumischen. Auf eine stabile Midlist setzen Verlage längst nicht mehr. Statt ihrer werden Lizenzen aus dem Ausland eingekauft und auf die wenigen Hyperseller gewettet.  Hyperseller, sind solche Bücher, deren Fanbase den neuen Roman relativ preisunabhängig kaufen werden. Ihnen gegenüber stehen eine Vielzahl an ebooks unter 5 €.  

Paid Piracy und Vertragsrecht für Autorinnen und Autoren

Steigende Titelzahlen und dennoch – oder gerade deswegen- weniger Sichtbarkeit für den Einzeltitel?  Im Dschungel des Buchmarkts drohten aber noch ganz andere Gefahren. Da wären nicht nur die rund 8000 ebooks, die z.B. Thalia legal und kostenfrei anböte, so Nina George. Die wahre Bedrohung käme von den ca. 2000 Piraterie-Portalen. Rund 200 von ihnen böten sogar Paid Piracy, d.h. der User zahlt einen sehr geringen Preis für eine Novität (oft ein paar Cents) und die Einkünfte teilen sich die Anbieter der Seite. Weder Autor noch Verlag sehen davon auch nur einen Penny.

Was bleibt mir als Autor zu tun, will ich mein Überleben in der Wildnis Buchmarkt sichern? Darauf weiß Tobias Kiwitt, Rechtsanwalt für Urheber- und Medienrecht, Gründer des Aktionsbündnisses für faire Verlage (Fairlag) und Vorstandssprecher des Bundesverbands junger Autorinnen und Autoren, eine Antwort. Auf die Vertragsgestaltung zwischen Verlag und Autor käme es an. Da Verlage auch Novitäten, ausgenommen die Hyperseller, in die Flatrates gäben, wäre dies einer der wesentlichen Punkte für die Vertragsverhandlungen. Lasst in eure Verträge eine Klausel schreiben, rät Tobias Kiwitt, die es Verlagen nur nach Rücksprache mit dem Autor / der Autorin ermöglichen, ein Buch in die Flatrate zu nehmen. Denn für Backlist-Titel, die aus dem Blickfeld der Leserinnen und Leser längst verschwunden sind, kann die Flatrate eine Möglichkeit sein, erneut Sichtbarkeit zu erhalten. Ganz anders verhielte es sich mit Novitäten. Denn die pekuniären Beteiligungen an der Flatrate wären für die Autorin/ den Autor zu vernachlässigen. Bei einem ebook, sagt Tobias Kiwitt, sei insbesondere auf die Rückrufrechte zu achten. Nach drei bis spätestens fünf Jahren sollten die Rechte wieder an den Autor  zurückfallen können.  Und er gibt jungen Autorinnen und Autoren noch einen weiteren guten Tipp an die Hand: Achtet auf den kleinen, aber wesentlichen Unterschied zwischen Nettoladenpreis und Nettoverlagsumsatz. Zwei Worte, die realiter eine große Differenz bedeuten.  Der Autor sollte am Nettoladenpreis beteiligt werden und nicht am Nettoverlagsumsatz, an dem auch der Buchhandel partizipiert.

Das Kulturgut Buch

Eva Leipprand kommt an dieser Stelle auf das Kulturgut Buch zu sprechen, das als solches schutzwürdig sei, weil es der Weiterentwicklung der Menschheit diene und wir gerade in politisch unruhigen Zeiten einer Vielfalt von Entwürfen und Bildern der Welt bedürften. Deshalb setze sie sich auch weiterhin für den Erhalt der Buchpreisbindung und die ermäßigte Mehrwertsteuer für Bücher ein.  „Zu schreiben heißt verschiedene Versionen der Wahrheit darzustellen“, schließt Nina George das Panel. Jede Gesellschaft bräuchte Menschen, die sich unabhängig vom wirtschaftlichen Risiko dafür einsetzten, dass es unterschiedliche Variationen des Lebens, Glaubens und der Prinzipien gäbe. Schreiben sei daher ein urdemokratischer Akt.

Aussichten und Ahoi

Meine Studentinnen haben Zahlen und Fakten mitgeschrieben. Sie wissen einmal mehr, auf welch stürmischen Ozean sie in vollem Bewusstsein auslaufen. An ihrem inneren Drang zu schreiben und die Welt mit ihren Geschichten zu gestalten, hat sich jedoch nicht geändert. Im Gegenteil. Sie werden in ihren Zug steigen und nach Berlin, Frankfurt oder in die Schweiz zurückreisen. Sie werden ihr Laptop noch auf der Rückfahrt aufklappen und ihren Figuren und Welten, Leben einhauchen. Es ist wesentlich  für Nachwuchsautorinnen und Jungautoren den Markt und seine Risiken zu kennen und wichtig, sich nicht deshalb als talentlos und gar falsch zu begreifen, weil sie noch keinen Hyperseller gelandet haben. Es kann förderlich sein (so hart es auch klingen mag) den Brotjob noch nicht zu kündigen, solange sie vom Schreiben allein nicht leben können. Die Zeiger der Waage schlagen aber auf einer ganz anderen Ebene aus und markieren Teilhabe an dieser Welt durch Erzählungen und Geschichten. Ich will daher nicht versäumen, vom Glück zu erzählen,  das das Schreiben, neben den herausfordernden finanziellen Umständen auch bedeutet. Dazu gehören nächtliche Streifzüge mit Kolleginnen und Kollegen. Da ertönt Lachen. Da steht der volle Mond über der Stadt. Wir spinnen die inneren Erzählungen, die irgendwann aufs Papier finden werden, fort, weil  erlebte Nächte und auch überbelichtete Tage dazugehören, genau wie die Anderswege., die wir beschreiten. Von der vermeintlichen Einsamkeit am Schreibtisch, will ich auch erzählen. Von den Figuren, die mit einem Mal zu sprechen beginnen und einfordern mit „ihrem“ Schriftsteller im Wohnzimmer zu campieren, die von seinem Brot, zumindest die Hälfte, abhaben wollen. Da hilft kein klagen, schließlich haben wir sie geschaffen.  Aber das ist eine andere Geschichte, hat Michael Ende einmal gesagt. So bleibt mir nur allen Autorinnen und Autoren Mut zu wünschen. Denn „man lernt das Matrosenleben nicht durch Übungen in einer Pfütze“ (Franz Kafka). Gute Fahrt und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel!

 

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