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Die Kleemannsche Kolumne

Der Schreibhain präsentiert:

Der Schreibhain hat es sich zur Aufgabe gemacht, noch unentdeckte, herausragende Talente zu fördern. Ein solches Originalgenie läuft einem nicht alle Tage über den Weg, daher schätzen wir uns umso glücklicher, den geneigten Lesern und Leserinnen unseres Schreibhainblogs ein solches vorstellen zu dürfen. Vorhang auf und Trommelwirbel: Wir präsentieren Hans Kleemann, dessen charmante  Großstadt-Kolumnen nun regelmäßig hier erscheinen werden.

Schlaraffenland

von Hans Kleemann

Manchmal ist es tatsächlich hinderlich, wenn man so gute Freunde hat wie ich. Es war neulich Abend, während ich die neue Staffel „Mrs. Maisel“ zu sehen begann, dass ich den ebenso festen wie unerschütterlichen Vorsatz fasste, endlich einmal radikal abzunehmen – das geschieht stets dann, wenn ich eine Serie beginne, da ich mich zuverlässig in die Hauptdarstellerin verliebe und gerade bei „Mrs. Maisel“ kommt erschwerend hinzu, dass alle Männer, sogar solche, die eher mit mir die Figur teilen, fabelhaft sitzende Anzüge tragen, während hingegen ich täglich damit kämpfe, in meinen anthrazitenen Sack hineinzuschlüpfen, den ich nicht einmal sonderlich mag, der aber verhängnisvollerweise der einzige Anzug in ganz Berlin zu sein scheint, der halbwegs passt. Genug davon, ich kann nicht in jeder Kolumne eine Klagearie über Modisches anstimmen und das führte jetzt auch alles zu weit.

Jedenfalls  begab es sich, dass ich mich gleich am nächsten Tag eifrig zu kasteien begann – ein ebenso löbliches wie folterndes Unterfangen. Sind sie schon einmal hungrig durch Berlin gelaufen? Der gute Tantalos hatte es ja noch vergleichsweise leicht, in seiner Wüste, da gab es bloß ein paar balsamische Birnen und Äpfel (was darf man sich darunter eigentlich vorstellen? Ich glaube nicht, dass es mich danach verzehren würde…), aber in Berlin lockt an allen Ecken und Enden eine andere Versuchung: hier etwas Chinesisches, dort die beste Lasagne der Stadt, dann wieder eine kleine, bezaubernde Patisserie, mit kleinen, bezaubernden Törtchen. Ein Meer der Versuchung. Wenigstens mittags wollte ich mir etwas gönnen und ging in der Brasserie am Ku’damm Austern essen, die setzen nicht so an – außer am Geldbeutel, und sind deshalb als dauerhafte Diätkost auch eher ungeeignet. Genauso wie die ganze Lokalität, mit all ihrer verführerischen Noblesse: „Vorher eine Zwiebelsuppe, wie immer, Monsieur!“ . Ach Gott, die hatte ich einstweilen erfolgreich verdrängt, aber jetzt waren die Gedanken an sie voll da: die köstliche Suppe, mit ihren lustig wippenden Fettäuglein, darin schwimmend das lockere Weißbrot, überbacken mit dem geschmackigen Grywetzer – das war bereits Tantalosstufe II. „Nein, danke“, entfuhr es mir als schwerer Seufzer. „Aber dann wenigstens einen Picboul zu den Austern, nicht wahr.“ Hilf Himmel, wollte mich da etwa wer prüfen? „Ich sollte wirklich nicht…“ – „Ach was, geht aufs Haus“. Nun ja, ein Glas würde mir die Bilanz schon nicht gleich verhageln. Aber kein Nachtisch, definitiv nicht – Coup Napoleon hin oder her.

Und da blieb ich auch wirklich eisern. Anschließend, nach ein paar Viertelstunden gemächlichen Schlenderns über den Kurfürstendamm entpuppte sich jedoch ein gewisser Konstruktionsfehler der Austern: sie schmecken zwar köstlich, machen allerdings nicht satt. Satt macht das Brot, das ich mir verkniffen hatte, ich Depp. Nun, einen Tee wird man ja wohl trinken dürfen, ganz bestimmt sogar, der konnte gewiss nicht schaden. Ums Eck wohnt eine gute Freundin von mir, die ich länger nicht besucht hatte, die würde sich bestimmt freuen, wenn ich mal vorbeisähe und eine Tasse Tee hat sie allezeit für mich. Hatte sich auch und einen italienischen Nusskuchen mit echten Piemonteser Haselnüssen. „Den habe ich gerade aus dem KaDeWe geholt – Du nimmst doch ein Stück“? „Eigentlich wollte ich…“ – „Du wirst doch nicht auf einmal Bescheidenheit heucheln. Das war auch gar keine Frage“. Schon stand ein breites Stück vor mir und man will ja nicht unhöflich sein. „Das freut mich ja, dass Du vorbeikommst. Wie geht es Dir denn immerzu“. „Ach, weißt Du…“ – „Du brauchst Geld, nicht wahr“ – „Aber wie kommst Du denn darauf“? –  „Freilich, gibs ruhig zu“ – „Nein, wirklich nicht“ – „Mmmmh“. Beim Abschied drückt sie mir eine KaDeWe-Tüte in die Hand: „Nimm ruhig mit, es sind nur ein paar Macarons – ich weiß doch, wie es ist, wenn man pleite ist“. Dabei war ich just an diesem Tag einmal nicht pleite.

Szenenwechsel. Der laue Abend dieses niederlagenreichen Tages dämmert, da läutet das Telefon: „Wir haben von unserer gemeinsamen Bekannten gehört, dass Du hungerleidend bist. Wir wollten Dich also zum Abendessen einladen. Wage es nur nicht Dich herauszureden, wir haben extra Rinderfilet geholt und dazu gibt’s ein bisschen Gemüse und Sauce Hollandaise. Das wird köstlich. Wir erwarten Dich in einer Stunde“. Das kommt also dabei heraus, wenn ich den Vorsatz fasse kürzer zu treten: alle Welt wähnt mich am Abgrund. Na bravo. Jedenfalls habe ich an diesem Tag mehr gegessen als zuvor und anscheinend ist es unmöglich in Berlin Diät zu halten, außer vielleicht im Kloster Regina Martyrium der Schwestern unserer lieben Frau vom Berge Karmel am Heckerdamm, aber man muss es ja nicht gleich übertreiben.

Von uns genötigt den Versuch einer kleinen Vita zu wagen, beschreibt Kleemann sich selbst wie folgt:

Hans Kleemann, geboren am 25. VIII. 1995 in Dinkelsbühl, hat nichts gelernt und nichts abgeschlossen, denn er glaubt zu wissen, was er wirklich kann: Chansons komponieren und kleine, feine Kolumnen, Gedichte und Kurzromane zu schreiben. Wenn das Eine nicht funktioniert, dann hofft er auf das Andere, das wechselt wochenweise und darum kann ihn auch
Corona nicht unterkriegen: Er hat im Zweifelsfall gute Nachlassverwalter. Im Übrigen nimmt er sich gar nicht derart ernst, wie man meinen mag und tut sogar mitunter so, als besäße er Selbstironie. Man sieht: Er muss Künstler sein, andernfalls wäre er ein Fall für genauere Untersuchungen.

 

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