Ein Nachruf von Hans Kleemann

Nun ist er peu a peu aus den Kinos verschwunden, der schöne Film, der liebe Film – der schöne Liebesfilm, der mir wir ein Rettungsanker war, in diesen ersten wirklichen Herbstwochen, nachdem ich ihn dann etliche Male zu oft gesehen hatte fast ein Kamerad, freilich auch etwas wofür Leute wie ich keine Vokabel haben und brauchen und was Leute wie Sie „Love Interest“ nennen. Jetzt ist er fort, fort wie all jene Gründe, die ihn mir so interessant machen und von denen ich prompt heimgesucht wurde, fünf Mal hundert Minuten lang.
Dabei kann und mag ich keineswegs behaupten, dass dieser Film ein besonders guter wäre – ein ordentlicher, bei allem Chaos, immer solid ästhetisch, vage anspielungsreich, man darf sich durchaus klug darin vorkommen, wenngleich auch ein bisserl schiacher wie die dekorativen Schauspieler (die hier doch eher Darsteller sind — nein, wie sind wir doch wieder geistreich). Es ist einfach eine Liebeskomödie im sogenannten Literaturmilieu, mit allen Stärken und Schwächen dieses Generes, mit Schubert, Meer, Cabrio und natürlich Jane Austen. Wobei, mit der eigentlich am wenigsten (Gott sei Dank).Wäre dieser Film vor zehn, fünfzehn Jahren erschienen hätte ich ihn mir sicher auch zwei Mal angesehen und wäre dann rasch in den nächsten gerannt, Abo und fehlender Arbeitsmoral sei Dank. Denn damals erschien jeden Monat eine neue, schöne Schnulze, nicht zu bieder, nicht zu larmoyant und um Himmels Willen bloß nie tragisch – heute jedoch muss immer sogenannter Tiefsinn in jede Schmonzette gebracht werden, sogenannte wirkliche Probleme (bei denen ich mich immer frage, wer die wohl hat), das sogenannte wahre Leben (zumindest romanhafter Gehirne). Dieser Film ist einfach ein herrliches Nichts und man kann hernach wunderbar zum Chinesen.
Das in etwa wäre die Kritik, wenn ich genötigt wäre eine zu schreiben. Die Wahrheit ist freilich die: Camille Rutherford gleicht bis in etliche Leberflecken hinein jener Friederike, die auch mal Mara heißt oder S. oder wie es mir gerade beliebt, von der Sie schon öfter gelesen hätten, wenn Sie meine Sachen läsen (kein Widerspruch, bitte, ich kenne doch die Verkaufszahlen!). Aber diese Camille sieht nicht nur aus wie jene Friederike, sie bewegt sich auch so, gleicht ihr sogar als Figur und ich kam also in einen ganz seltsam wunderbaren Dämmerzustand zwischen Vergangenheit und Heute, Traum und Wirklichkeit, Film und Erinnerung (wobei sich mir die bange Frage stellt wie viele meiner Erinnerungen sich aus Filmen speisen)… Ach, ich vermag eben nicht zu sagen, ob ich den Film gern gesehen habe, die Hauptdarstellerin oder mich einfach wohlig in vergangenem Leid suhlte. Wahrscheinlich ein wenig von alledem.
Jetzt wäre es natürlich interessant, wie Sie den Film finden – allein, er ist dahin, dahin, dahin und ferner als alle Friederiken, Maras und S.s dieser Welt – die jedoch kann man leider nicht ein paar Monate später streamen.
VITA

Von uns genötigt, den Versuch einer kleinen Vita zu wagen, beschreibt Kleemann sich wie folgt:
Hans Kleemann wurde 1995 in Dinkelsbühl geboren und zwar am selben Tag wie Hölderlin und der verrückte König Ludwig – es mag wohl daran liegen, dass er erst die Flucht und dann die Leier ergriff. Seitdem schreibt, dichtet und komponiert er in Berlin.
Kleemanns Debüt „Jeder einmal in Berlin“ erschien im März 2024 im Adakia Verlag.
