Berlin, den 17. April 2020
Autorin: Sabine Schreiber
Heute ist der Tag, wo der Himmel geteilt wurde.
Heute ist Mittwoch, der 15.4.2020, die Welt ist in Corona-Pandemie, ich bin auf dem weitläufigen ehemaligen Flugfeld Tempelhofer Freiheit, Berlin.
Weit oben zieht ein einsames Flugzeug seinen Streifen durch den Himmel. Genau über mir zeichnet es einen dünnen hellen Kondensstreifen und teilt die Hemisphäre ein in links und rechts.
Wie abgeschossen erscheint dieses Flugzeug, von mir gegenüber bis genau hinter mir, von einem Horizont zum anderen. Wie wichtig muss dieses Flugzeug sein, dass es heute fliegen darf, jetzt, zum Corona Flug Lockdown und bei 90 % nicht stattfindenden Flügen weltweit? Wohin fliegt es wohl? Was für eine kostbare Fracht trägt es in sich? Rumänische Erntehelfer, verwaiste Flüchtlingskinder, wichtige Immunologen oder nur ein paar Superreiche, die Letzten ihrer Art?
Heute ist Tag XYZ in einer schon endlosen Aneinanderreihung von Tagen im Ausnahmezustand, sie verschwimmen angesichts der Gleichförmigkeit und Wiederholung, immer ähnliche Inhalte, Zuhause arbeiten, Spaziergänge, aufräumen, schreiben, einkaufen, kleine Fluchten, die Physiotherapie als berührungstechnisches Highlight – ich frage mich zuweilen am Abend, ob ich heute jemand gesehen habe, also im Sinne von Begegnung – oder war das gestern? Von Umarmen reden wir hier nicht mal. Eine Begegnung kann das anregende Gespräch mit der Kassiererin sein.
Kleine Fluchten, immer wieder. Wie diese hier, auf dem weiten Flugfeld am Abend. Oder die Begegnung mit Blockaden, hey auch sie kommen und hey, du alter Kumpel Zweifel, da darfst du auch mal wieder anklopfen. Besuchst du mich in meiner Einsamkeit? So selten, wie ich gerade Besuch bekomme, bin ich sogar fast erfreut darüber.
Der Streifen am Himmel verflüchtigt sich schon. Ich sitze auf einer Bank, dann doch noch, das Licht und der Himmel, sie haben mich gerufen in Wahrheit, mich rausgerufen aus meinem sicheren Zuhause, habe versucht, zu widerstehen und es gottseidank nicht geschafft. Denn diesen Sonnenuntergang gibt es so nie wieder zu sehen.
Versuche mich hier wieder einzufangen, das Gestaute von Zuhause rauszulassen, etwas von den Menschen zu sehen oder gar nichts zu wollen.
Da, noch zwei weitere Flugzeuge, doch noch, also muss man sich nicht entscheiden für das eine oder andere wichtige. Ist das so, wenn man nur in den Himmel guckt und denkt?
Auf meiner Bank sitzend nehme ich einen Windhauch von den echten Menschen wahr, wie den Duft der Radlerin, mit der ich gerade ein Lächeln austauschte. Riecht gut, so ein Mensch. Oder Dialogfetzen von Zweien, die miteinander laufen, manchmal von Dreien. Jogger, viele Jogger, die meisten schon ziemlich geübt. Kaum einer hat eine Atemschutzmaske an. Fast normal alles.
Heute ist Mittwoch. Heute beschließt die deutsche Regierung, wie es zukünftig weitergehen wird in den Einschränkungen und im Kampf gegen das Virus. Morgen ist Donnerstag.
Zu der Euphorie der Anfangstage und dem Glück des Zeithabens hat sich die Eintönigkeit gesellt und die Geduld, oh weise Schwester, nimm mich weiter an die Hand und beschütze meine traurigen Momente und geleite mich weiter. Nimm den Zweifel an die andere Hand meinetwegen.
Wir laufen Hand in Hand in Richtung Sonnenuntergang. Da, wo der ganz große Himmelsmaler mal wieder richtig inspiriert war, vielleicht von sich selbst? In schönsten Pastellfarben, golden, mit einem strahlenden rosafarbenen Schein, der verwaschen hinläuft zu hellem Türkis, akzentuiert mit einem sehr schmückenden, diamantenen Stern oben am Himmel.
Auf der rechten Seite.